Es gibt zwei große Wanderrouten, die üblicherweise auf den Zetteln der wanderfreudigen Nepal-Reisenden stehen. Die eine ist aus offensichtlichen Gründen Everest und die andere ist die Annapurna-Umrundung. Der Weitwanderweg führt einmal rund um das Annapurnamassiv und geht durch so gut wie alle Klimazonen von 780 m bis auf gut 5.400 m hoch. Man kann an verschiedenen Stellen auf den Rundweg einsteigen, weil Busse auch in noch recht hoch gelegene Dörfer fahren. Außerdem gibt es verschiedene Möglichkeiten für Tagesausflüge abseits des Hauptpfads. Abgesehen von Potenzial für die Höhenkrankheit, gilt die Strecke als recht leicht begehbar.
Da ich gänzlich ohne Ausrüstung und mit leichtem Schuhwerk unterwegs bin, dachte ich erst, dass die Tour für mich nicht infrage kommt. Nach dem Ausflug zu Poon Hill, der selbst ein Teil der Annapurna Umrundung ist, wurde mir aber versichert, dass auf der großen Runde auch keine wesentlich schwierigeren Stellen zu erwarten sind. Schließlich überzeugte mich ein Holländer in meiner Herberge in Pokhara die Tour gemeinsam anzugehen. Ich bin neun Tage unterwegs und gruppiere die vielen Bilder hier mal tagweise.
Wir entscheiden uns, den klassischen Startpunkt Besisahar anzufahren. Es ist der tiefste Punkt auf dem Weg und wir möchten uns unsere Höhenmeter auch verdienen. Fast alle Trekker gehen die Runde von hier und gegen den Uhrzeigersinn, weil es so einen stetigen Anstieg gibt, der bei der Gewöhnung an die Höhe hilft.
Unterkünfte auf dem Weg sind übrigens kostenlos, wenn man Abendbrot und Frühstück auch dort konsumiert. Den zweiten Tag können wir mit einem Bad in einer heißen Quelle beginnen. Das ist ein bisschen weniger idyllisch als es klingt. Eine schönere natürliche Variante wurde von einem Hochwasser im Vorjahr zerstört. Wir baden im leicht salzigen Wasser in braunen Betonbecken. Die Temperatur ist angenehm.
Die Höhenkrankheit kann alle treffen und es ist vorher nicht abzusehen, wer besser oder schlechter auf Höhenluft reagiert. Ein Gastgeber erzählte uns, dass wenn lokale Bergleute ein paar Monate im Tal gearbeitet haben und dann wieder nach Hause fahren, sie auch Symptome bekommen. Sportlichkeit, Alter, Größe oder Dinge wie BMI haben keine Vorhersagekraft. Dafür können sich aber (so gut wie) alle an die Höhe gewöhnen. Dazu braucht der Körper einfach nur etwas Zeit. In der Höhe werden vermehrt rote Blutkörperchen gebildet, die den Sauerstoffmangel in der Luft kompensieren. Die bleiben auch noch mehrere Monate nach dem Abstieg im Blut und man läuft eine Weile als Supermensch durch die Gegend.
Es ist ratsam am Tag aktiv hoch zu steigen und zum Übernachten wieder etwas abzusteigen. Das regt den Prozess gut an und man kann Nachts trotzdem schlafen. Lokal hält sich die Ansicht, dass starke Knoblauchsuppe hilft. Diese wird, neben Dal Bhat natürlich, unsere tägliche Kost.
Da die Stoßrichtung für alle gleich ist und sich gewisse Tagesetappen anbieten, läuft man in der Regel jeden Tag mit den gleichen Leuten durch die Landschaft. In unserer Teilzeitgemeinschaft gab es mehrere israelische Gruppen, die eine Art Pilgerwanderung zusammen unternahmen. Wir freunden uns mit einem britischen Paar, einer Schwedin und einem weiteren deutschen Christian an.
Wir entscheiden uns schon bevor wir überhaupt losfahren, einen Ausflug zum Ice Lake zu machen. Tagesausflüge werden wegen der Akklimatisierung empfohlen. Ein Trick beim Wandern in Höhe ist es, sehr langsam zu gehen, also wirklich langsam. So langsam, dass man trotz der dünnen Luft nie außer Atem kommt. Das ist gar nicht so einfach, weil man schon beim aufgeregten Sprechen manchmal bemerkt, dass die normale Atemfrequenz schlicht nicht ausreicht. Man vergisst es auch, wenn man in der Unterkunft schnell mal aufsteht und auf die Toilette geht. Als Faustregel beim Wandern hilft es, so kleine Schritte zu machen, dass nie eine Lücke zwischen den Füßen entsteht. Das wurde uns von einem regelmäßig hier Wandernden empfohlen. Der Aufstieg von 1.400 m zum Ice Lake ist recht steil und ich ziehe das Ameisentempo durch. Dadurch musste ich nicht pausieren und konnte am Ende feststellen, dass ich mit maximal 1 km/h Dauergeschwindigkeit alle auf dem Weg überholte. Mein Wanderpartner hat an diesem Tag leider zu viel Energie und geht schneller, kommt außer Atem und macht Pausen. Wir denken, dass er deswegen Kopfschmerzen bekommt und sich in den nächsten Tagen entscheidet, länger im Ort zu akklimatisieren, wofür ich nicht mehr genügend Pufferzeit habe. Der Tagesausflug hat sich trotzdem gelohnt und natürlich gehe ich im See schwimmen.
Manang ist ein größeres Dorf mit mehreren Geschäften, das für viele als Basisstation zum einigermäßen komfortablen Akklimatisieren herhält. Von hier aus kann man zu mehreren Tagestouren aufbrechen. Außerdem gibt es eine Weggabelung vom Hauptpfad. Wer es ernst meint, kann von hier aus zum noch höher gelegenen Tilichosee wandern, benötigt dafür aber mehr Aurüstung, Zeit und vor allem Können, als ich aufzubringen habe. Meine Begleitung und ich trennen uns hier nach einer Nacht im Gasthaus mit funktionierender warmer Dusche. Ich gehe weiter gen Thorang-La Pass.
Die deutsche Wanderbibel, die hier als zuverlässig identifizierendes Erkennungsmerkal für die Herkunft bekannt ist, wird mir in diesem Abschnitt zu langsam. Einen Tag lang befolge ich die vorgeschlagene Tour. Da es mir gut geht und die Pausen ohne Begleitung nicht so spaßig sind, mache ich am nächsten Tag eine Doppeltour und gehe etwas später als die meisten über den Pass.
Zum Pass geht es einigermaßen stetig bergauf. Die Teehausdichte nimmt ab, Ortschaften werden noch kleiner und spärlicher. Ich gehe im bewährten Minimaltempo und komme gut gelaunt oben an. Dort trinke ich Tee mit viel Zucker. Im Teehäuschen läuft leicht rauschendes Radio mit nepalesischer Musik. Der Verkäufer Sanna ist so alt wie ich und 3 Monate am Stück hier. Danach wird er abgelöst und kann nach Hause zu Frau und zwei Kindern. Die Saison war Corona-bedingt noch schlecht, aber es geht jetzt metaphorisch bergauf. Vom Pass aus geht es physisch recht schnell bergab. Ich ziehe den Tag in die Länge und wandere bis zum Sonnenuntergang nach Muktinath.
Muktinath ist dank einer erdgespeisten Gasflamme direkt nebst natürlicher Wasserquelle Pilgerstätte für Buddhisten und Hindus. Die Flamme kann man nicht fotografieren und auch kaum sehen, aber die Quelle kommt aus sehr vielen vergoldeten Kuhköpfen. Im weiteren Abstieg mischt sich in die Wüstenlandschaft vermehrt bewässertes Grün in Terrassen.
Nach meiner Wanderung bin ich noch ein paar Tage im wackeligen Bus zuerst nach Pokhara und danach nach Kathmandu unterwegs, bevor ich ins Flugzeug steige und noch nicht genau weiß, wo ich ankommen werde.
PS: Bilder mit Menschengesichtern gibt es wie gehabt auf Nachfrage per Direktnachricht.
Anta
Welch faszinierende Fotos der Landschaftsgesichter….
Wir sind bereit für die Menschengesichter. Gern auch vom Bad im Ice Lake (falls vorhanden).
Alles Liebe
bru
Ihre Lieferung wurde zugestellt!
Heike
Liebe Grüße an das andere Ende der Erde. Bin beeindruckt von der Vielfalt der Landschaften. Deine Wegbeschreibungen mit Erlebnissen verfolge ich mit Spannung. Eine schöne Zeit voll neuer Abenteuer und Achtsamkeit. Viel Freude bei den künftigen Erkundungen. Wir lesen gespannt mit.
Andrea
Ich verfolge deine exzentrische Reise mit gemischten Gefühlen – Sorge und Faszination. Sorge als Mutter und Faszination beim Betrachten der Bilder. Du musst unbedingt deine Erlebnisse als Reisebericht den Menschen näher bringen.
bru
Interessant. Eine ähnliche Perspektive habe ich zu Autobahnfahrten und der Entscheidung gegen ein Tempolimit 🙂 und unter den Reisebericht hast du gerade kommentiert, dachte ich. Vielleich kann ich aber noch ein Zwischenfazit anbieten: Es ist überall schön. Menschen sind überall gleich. Nur Kulturen und Landschaft sind anders.