New York ist ein würdiger Abschluss für eine lange Reise. Es folgt eine kleine Bilderflut, da die selbsternannte Hauptstadt der Welt so einiges bietet, was dem symbolischen Titel angemessen erscheint. Der Sitz der Vereinten Nationen ist vermutlich das stärkste sachliche Verkaufsargument. Überzeugender finde ich aber andere Merkmale.
Etwas, das die Stadt auch für mich sehr anziehend macht ist Vielfalt. In den Ergebnissen einer Befragung zur Herkunft der Menschen in New York kommt nach den 16 am häufigsten genannten Ländern mit 38 % noch der Punkt “andere Herkunft”. Laut Wikipedia sind etwa 40% der Stadtbevölkerung nicht in den USA geboren. Ich würde sagen, man kann die Stadt als divers beschreiben. Das hat vermutlich einen selbstverstärkenden Effekt. Außerdem hat New York natürlich ein Symbol, das überall verstanden wird.
Ich finde, das Freiheitsversprechen ist hier durchaus greifbar, was mit allen schönen und hässlichen Seiten einher geht. Berlin war für mich lang der Ort mit dem geringsten Konformitätsdruck. New York spielt hier aber in einer eigenen Liga. Der Umgangston ist rau, aber direkt. Superreiche und Obdachlose finden die gleichen Stadtteile attraktiv. Es ist sehr laut und voll. An vielen Ecken stinkt es. Nachts sollte man sich überlegen, wo man hingeht. Überall sind Ratten und alles ist sehr teuer. Trotz allem fühle ich mich sofort sehr wohl. Weil alle von woaders sind, sind hier alle zu Hause. Die Stadt hat Fluss und Meer, große Parks, richtig gutes Essen, eine funktionierende U-Bahn, im Sommer Hitze, im Winter Schnee, vermutlich alle global verfügbaren kulturellen Szenen und noch ein paar eigene. New York ist gleichzeitig grandios und furchtbar. Es wäre daher meiner Meinung nach eine angemessene Hauptstadt der Welt.
Nicht nur läuft hier Vielfalt ganz selbstverständlich durch die Straßen, sie wird aktiv gefeiert. Gleich zu meiner Ankunft ist Christopher Street Day. Ganze Straßenzüge sind voll mit Menschen – zum Anlass in Regenbogenfarben, zur Normalisierung oberkörperfrei, zur Feierlichkeit glitzernd und zur Musik tanzend unterwegs. Die Parade dauert mehrere Stunden und läuft anders ab als die typische Kreuzberger Demo. Die Straßen sind abgesperrt und man beobachtet den Demozug vom Rand aus. Wenn man die Straßenseite wechseln möchte, gibt es Schleusen, die von Polizei zwischen den Demowagen kurz geöffnet werden. Natürlich kann man überall Dollars gegen Regenbogenausrüstung tauschen und auch überall fliegt Konfetti. Nach dem Fest mache ich einen Spaziergang in Richtung Times Square. Die Touri-Dichte nimmt zu und hier und da mischt sich noch ein kommerziell eingesetzter Regenbogen ins Bild.
Rein optisch werde ich an den Backsteinfassaden glücklich. New York hat den bescheidenen Mauerziegel genommen und an seine vertikalen Grenzen gebracht. Riesige Wohneinheiten, einfache Mehrfamilienhäuser und historische Wolkenkratzer zeigen sich in beruhigend gekachelten Mauerfronten. Selbige sind oft noch mit schnittigen Feuerwehrleitern versehen und auch sonst ist bei den vorherrschenden Quadratmeterpreisen natürlich alles ein architektonisches Schauspiel.
Ich wohne während meines Aufenthalts in Brooklyn und mag es dort ziemlich gern. Der Stadtteil ist jüdisch geprägt, insgesamt aber sehr bunt und hat trotz der Größe einen nachbarschaftlichen Charakter. Außerdem gefallen mir die umzäunten Sportplätze irgendwie. Über die Brooklyn Bridge kommt man zu Fuß nach Manhattan.
Manhattan ist groß und hat für sich genommen mehr Einwohner als München. In meinem üblichen Erkundungsmodus laufe ich einfach alles ab. So stolpere ich zum Beispiel über die High Line.
An einem anderen Tag wandere ich von der Central Station über einen Markt am Union Square. Da sitzen an mehreren Stellen Schachspieler, die auf Kontrahenten warten. Ich traue mich mit meinem Stümperschach natürlich nicht ans Brett und erfahre erst später um die Weisheit meiner Entscheidung. Man spielt hier offenbar immer um Geld. Geht man ein paar Blocks weiter in Richtung Süden, kommt man durch Chinatown.
Auf einer ähnlichen Tour spaziere ich von der Washington Bridge durch Harlem in den Central Park. Der ist groß, umgeben von Hochhäusern und strebt eine irgendwie ungewohnt scharfe Trennung der Nutzungsarten an. Fußwege sind keine Radwege, Sportplätze sind keine Aufenthaltsorte. Es gibt Ballwiesen, Liegewiesen und eine Frisbeewiese. Wiesen haben Ein- und Ausgänge. Imbisswagen dürfen sich offenbar nur am Rand des Parks sammeln. Insgesamt wirkt der Park sehr gepflegt.
Auf meinem Touri-Abhakzettel steht noch der Besuch in einer Jazzbar, woran mich die Live-Beschallung einer Bar neben dem Central Park erinnert. Von der Musik dürfte auch die angrenzende Hotdog-Bude profitieren. Zoe aus Minneapolis ist jedenfalls auch gerade in der Stadt und hat einen Geheimtipp, zu dem sie mit mir geht. Ein Bar-Besitzer in Brooklyn, der regelmäßig Gospel-Brunch anbietet, ist wohl gut in die Szene eingebettet, denn dessen befreundete Grammy-Sternchen kommen gern mal auf ein kleines Konzert zu Besuch.
Schon vor meiner Anreise war mir klar, dass ich hier gern ins Naturkundemuseum gehen möchte. Das American Museum of Natural History ist eins der Art massiver Museen, in die man sehr oft gehen kann, ohne alles sehen zu können. Publikumswirksam beginnt die Ausstellung eigentlich schon in der U-Bahn. Die obligatorischen Schildchen sind museumsunüblich gar nicht langweilig, sondern haben spaßige Fakten oder erklären eine sich offensichtlich stellende Frage zum Ausstellungsstück. Im Raum angebrachte Kreise deuten auf die beschriebenen Merkmale hin und wie die Eremitage in Sankt Petersburg, versteht es das Museum seine Decken zu nutzen.
Die erwähnte U-Bahn ist auch an anderen Stationen schön gefliest. Überhaupt finde ich, dass so ein ÖPNV, bei dem man einfach Teil eines Menschenstroms werden kann, etwas sehr beruhigendes hat. Die neu gewonnene Mobilitätsituation fühlt sich fast ein bisschen nach Berlin an, auch wenn der Netzplan etwas gewöhnungsbedürftig ist und es einige Linien gibt, die nicht überall halten, sowie teilweise Anschlüsse vermissen lassen. Nach meiner Zeit auf Gummirädern im Land bin ich jedenfalls sehr dankbar für den Personentransport auf Schiene. Eine Fahrradleihe hat mit meiner Kreditkarte leider nicht funktioniert. Über einige Straßen hätte ich mich aber ohnehin nicht auf dem Drahtesel getraut. Ich laufe ja naturgemäß recht viel, aber einen Ausflug mit der U-Bahn mache ich an den sonst zu weit entfernten Strand (Coney Island).
Am vierten Juli, kurz vor meinem Flug und dem vorläufigen Abschied meines Reisemodus, hat New York ein großes Feuerwerk für mich organisiert. Das finde ich angemessen. Zum Anlass strahlen nicht wenige Hochhäuser die Flagge Russlands in den Nachthimmel, was hier aber als Huldigung der eigenen Nationalfarben interpretiert wird.
Es ist vielleicht nicht so cool, aber ich Reihe mich nach meinem Besuch in die Gruppe der Fans von New York und möchte gern wieder kommen. Einen kleinen Artikel mit Statistiken und Bildsammlungen werde ich wohl noch anhängen. Sonst wird das hier vorerst der letzte Eintrag sein. Anfangs war ich ja ein wenig skeptisch, ob sich der Blog-Aufwand auch lohnt, aber ich fand es immer schön Rückmeldung von Lesenden zu bekommen und mittlerweile schaue ich auch gern mal zurück, also danke, dass ihr mich dazu gedrängt habt 🙂
Anta
Danke für’s Mitnehmen auf deine Reise
einmal um den Globus