Die übliche Aufteilung der USA in Nordosten, Süden, Westen und mittleren Westen ist für mich wenig nachvollziehbar. Bevor ich mich aber darüber auslasse, benutze ich lieber mein eigenes Verständnis von Himmelsrichtungen und sage einfach dazu, dass es nicht der landesüblichen Terminologie entspricht. Teils also, um ein Zeichen zu setzen, hauptsächlich aber, weil die Aufteilung besser in meine Reisebeschreibung passt, beschreibe ich unter der gewählten Überschrift meine Durchquerung der geographisch östlichen Hälfte der USA.
Diese Durchquerung läuft zunächst recht stationär in Minnesota ab. Rund um Sarahs Geburtstag findet sich ein größerer familiärer Anhang, sowie alte Freundschaften in Minneapolis ein. Ich bin auch dabei und darf in Zoes (≠ Zoë) Wohnung nächtigen. Nach etwa einem halben Jahr ist es sehr angenehm, wieder bekannte Gesichter zu sehen und ich lasse die Kamera öfter mal im Rucksack.
Nach meinem Verständnis liegt Minnesota mittig im Norden der zusammenhängenden USA. Im Frühsommer ist das Wetter sehr angenehm. Es erinnert mich ein bisschen an zu Hause. Bei feuchter, nicht zu warmer Luft gibt es viele einladende Seen und noch mehr Laubwälder. In Minneapolis speisen wir einmal in der Nähe eines Wasserfalls, einmal in einer Eiscreme-Fastfoodkette und einmal im industriellen Zentrum der Stadt am Mississippi. Wir waren auch am George Floyd Square, der in Laufnähe zu Sarahs ehemaliger Wohnung liegt.
Dankbar für eine Bleibe mit Küche bedanke ich mich bei Zoe mit einem Apfelkuchen aus ihrem Ofen und fahre weiter gen Osten. Gewöhnt an das Leben auf Achse, fühlt sich die Strecke an die Ostküste jetzt geradezu kurz an. Dabei fahre ich durch Wisconsin, Illinois, Indiana, Ohio, Pennsylvania, Maryland, DC und New Jersey, mit einem kleinen Abstecher nach Delaware. Die Staaten werden allerdings nach Osten hin kleiner. So klein, dass ich offenbar in den meisten Staaten gar kein Fahrvideo aufnehme.
Die nächste großen Dinge auf meinem Weg sind der Michigansee und Chicago. Der See erinnert mich ans Meer und an den Säuresee vom zweiten unendliche Geschichte Film. Die Stadt an die Blues Brothers. Chicago finde ich ziemlich spannend, aber auch ziemlich teuer. Weil ich das Gefühl habe, dass die Stadt zu komplex ist, um sie mal eben kennenzulernen, fahre ich nach einer Nacht weiter.
Auf meinem Weg komme ich in Ohio durch mehrere Dörfer, in denen mir Pferdewagen der Amischen begegnen. Nach mehrsekündiger persönlicher Erfahrung, kann ich jetzt sagen: sie beachten Vorfahrtsregeln mit Schulterblick. Der Weg bis zur Hauptstadt fühlt sich deutlich kürzer an, als die gut 1000 km, die er tatsächlich lang ist. In DC spaziere ich durch die National Mall, also die längliche Promenade im Regierungsviertel. Sie sieht so aus, wie auf den Nachrichtenbildern. Zu meinem Besuch werden gerade Teile der Kapitolfassade bearbeitet. Ich vermute Reparaturarbeiten nach dem Sturm auf das Gebäude, kann das aber spontan nicht bestätigen.
Den anschließenden Abstecher nach Delaware mache ich, um den Atlantik mal von der Westseite her zu betrachten und meinen Stein vom Pazifik unauffällig zu versenken. Am vertraut geglaubten Gewässer entdecke ich dann erschreckend große Wesen aus der Unterwelt – teils verendete, teils noch bewegungsfähige Hufeisenkrebse verteilen sich auf verschiedene Stellen des Ufers. Die flüchtige Idee, eine Nacht am Strand zu verbringen, verwerfe ich jedenfalls schnell.
Auf den letzten Meilen durchquere ich Philadelphia, das mir seltsam vertraut vorkommt und habe in New Jersey ein glückliches Händchen beim Autoverkauf via Craigslist, bevor ich mit viel Bargeld im Rucksack in Bahn und Taxi meine letzte Reisebleibe in New York anfahre.
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